Junge Welt

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Donnerstag, 26. August, 2010, Nr.197
Die Fragen stellte Sigrid Lehmann

 

Herr Zelter, in Ihrem neuesten Roman „Der Ministerpräsident“ zeichnen Sie das Bild einer inhaltsleer gewordenen Politmaschinerie. Beziehen Sie sich auf die aktuelle Situation in der Bundesrepublik?

 

Ja, die aktuelle Politik ist in meinem Roman vielfach präsent. Der Roman ist bewusst in Baden-Württemberg angesiedelt. Hier war seit Bestehen der BRD immer die CDU (wenn auch mit wechselnden Koalitionspartnern) an der Macht. Man würde einen Regierungswechsel dort tatsächlich als einen Untergang einer natürlichen Ordnung empfinden. In meinem Roman hält die Partei und das Umfeld des Ministerpräsidenten mit aller Macht an ihm fest, obgleich er in keiner Weise mehr arbeitsfähig ist. Man will alles, bloß keine Veränderung.

 

Haben Sie an Althaus gedacht, als Sie das Buch der Ministerpräsident geschrieben haben?

 

Auch an Althaus habe ich gedacht – aber auch an viele andere. Als Althaus verunglückt ist, hat einer der ihn behandelnden Ärzte im Fernsehen gesagt: „Er weiß, dass er Ministerpräsident ist und er will es auch bleiben.“ Ich fand diesen Satz geradezu grotesk. Ich dachte mir: Das ist ja eine schmale Grundlage um Ministerpräsident zu bleiben: Er weiß, dass er es ist … Aber der Fall Althaus war nur ein Anstoß. Der Roman könnte von allen Ministerpräsidenten oder Politikern der Bundesrepublik handeln.

 

Warum ist jeder Ministerpräsident Ihrer Meinung nach zwangsläufig charakterlos?

 

Nicht unbedingt charakterlos, eher entpersönlicht, funktionalisiert, von allem Eigenen abgetrennt. Selbst das Private dient der öffentlichen Inszenierung. Und die Wiederwahl ist die Maxime alles Denkens und Handelns. Wenn ein Politiker so hoch gekommen ist, sind bis dahin auch ständige Anpassungsprozesse passiert. Oft ist so ein hoher Politiker innerlich völlig tot, nur noch eine Charaktermaske, ein Sammelsurium von Phrasen. Sie wissen wahrscheinlich selbst nicht mehr, was Innen und was Außen ist. Das geht aber allen Karrieristen so, an der Universität wie in der Kirche wie…

 

Wirklich allen?

 

Naja, obwohl ich z.B. nicht wirklich ein Fan von Joachim Gauck bin, war er als Quereinsteiger bei der Bundespräsidentenwahl ein ungewöhnlicher Kandidat, authentischer als die meisten Politiker. Aber er hatte ja auch keine wirkliche Chance. Wulff ist durch und durch Politiker, adrett, ohne Makel, ohne Fehler, bis zur Unsichtbarkeit geschliffen.

 

Der ständige Berater des verunglückten Ministerpräsidenten März ist in Ihrem Buch die abstoßendste Figur. Er bevormundet seinen Kandidaten total und interessiert sich nur für die Umfragewerte, die dieser erzielt…

 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass in der Realität hochrangige Politiker nicht viel zu melden haben. Das erledigt ein Tross von Beratern und Ministerialbeamten für sie. Früher waren Politiker womöglich anders. Inzwischen reden und handeln sie mehr oder weniger visionslos, inhaltslos, unter der Diktatur von kurzfristigen Umfragewerten. Es geht nur noch darum, ob eine Frage sich gut verkauft. Die gesinnungsethische Fehlervermeidung ist die oberste Maxime.

 

Eine Kritikerin der Wochenzeitung „Der Freitag“ sieht Ihren Roman skeptisch, ihr fehlen die harten Themen.

 

Es gibt auch eine asketische Seite bei manchen Linken: Alles muss ganz klar beim Namen genannt werden, darf nicht zu verspielt oder vieldeutig sein. Aus Wut über den Umgang mit Arbeitslosen habe ich in der „Schule der Arbeitslosen“ eine sehr direkte, unzweideutige, am Ende auch harte Sprache gewählt. Ich wollte bei diesem Thema auf keinen Fall missverstanden werden. Die ganz konkreten politischen Anliegen und Fragen können aber auch eine Gefahr für einen Roman sein.

 

Ein Roman bewegt sich nun mal auf einer anderen Ebene als ein Sachbuch oder ein Flugblatt!

 

Man kann auf eine ästhetische Art revolutionär sein.

 

Der Ministerpräsident ist nach seinem Unfall so viel liebevoller und menschlicher als zuvor. Seine Redenschneiderin Hannah und er geben ein sympathisches Paar ab. Hannahs Tod nach dem Fahrradunfall auf der Flucht vor Paparazzi ist sehr tragisch. Hätten Sie kein Mut machenderes Ende finden können?

 

Sie sterben beide. Hannah stirbt körperlich, er geistig. Sein Widerstand wird gebrochen und März, sein Berater, steht am Schluss wieder an seinem Krankenbett und redet von nichts als Umfragewerten und Wahlkampf, arbeitet mit ihm an seinem Comeback – zurück in die Maskenwelt der Politik. Das Ende des Romans ist wohl meine private negative Sicht auf die Welt. Nietzsche nennt das: Die ewige Wiederkehr des Gleichen.

 

Ich habe die Message des Buches so verstanden: Die Demokratie ist ausgehöhlt, das Wählervolk möchte gerne mit einfachen Bildern und Parolen bedient werden.

 

Politik durchläuft zunehmend einen Prozess der Entpolitisierung und Entdemokratisierung. Und wenn sich in der Bevölkerung tatsächlich mal so etwas wie ein eigener Wille formiert, dann wird er ignoriert. Zum Beispiel hält die Landesregierung stur an Stuttgart 21 fest, obwohl inzwischen Zehntausende von Menschen auf der Straße dagegen demonstrieren. Der Wunsch der Bevölkerung nach einem Volksentscheid wird übergangen. Formal ist alles demokratisch und legal, in seiner Art und Wirkung ist der Vorgang technokratisch, autoritär, sich über die Menschen hinwegsetzend.

 

Was würden Sie sich wünschen, was sollte während eines Wahlkampfes passieren?

 

Eine gute Frage. Ein Kandidat kann verschwinden. Weglaufen vor dem eigenen Wahlkampf ist eine bizarre Idee, die mir sehr gefällt. 

 

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