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WEITERE INTERVIEWS

 

Das Hochschulmagazin für Karlsruhe, November 2008
Die Fragen stellte Sarah Wilhelm

 

 

Sie haben in Freiburg Ihr Abitur gemacht. Gab es für Sie eine Alternative zum Studium?

 

Ich habe nicht in Freiburg Abitur gemacht, sondern an einer privaten Schule, der Urspringschule. Das ist ein Internat bei Ulm, das ich von der 5. bis zu 13. Klasse besuchte, weil ich ein völliger Schulversager war. Ich muss gestehen: An einer Staatsschule hätte ich das Gymnasium kaum überstanden. Als ich das Abitur dann hatte, gab es für mich zum Studium eigentlich keine Alternative.

 

In welche Richtung hat sich das Studium der Geisteswissenschaften Ihrer Meinung nach entwickelt? Welchen Aufgaben muss es sich stellen?

 

Schwer zu beurteilen, da ich meine Hochschulstelle (Wissenschaftlicher Angestellter am Seminar für Englische Philologie der Uni Tübingen) vor über zehn Jahren aufgegeben habe und seither als freier Schriftsteller lebe. Ich kann also nur Vermutungen aussprechen. Vermutlich haben sich die Geisteswissenschaften (wie andere Fachrichtungen auch) zunehmend ökonomisiert. Allein schon durch die Studiengebühren, aber auch durch die inhaltliche Ausrichtung der Studiengänge. Die beruflich-ökonomische Verwertbarkeit von Bildung steht heute sicher viel mehr im Vordergrund als während meiner Studienzeit. Was auffällt: Je mehr sich die Geisteswissenschaften gesellschaftlichen Leistungsforderungen anpassen, teilweise auch anbiedern, desto bedeutungsloser werden sie letztendlich für gesamtgesellschaftliche Diskurse. Es gehen von den Geisteswissenschaften (anders als in den sechziger und siebziger Jahren) heute keine großen Impulse mehr für gesellschaftliche Fragen aus, schon gar keine kritischen Impulse. Vielleicht sollte man diesen Zusammenhang einmal im Auge behalten: je angepasster, desto bedeutungsloser.

 

Ich weiß nicht so recht, welchen Aufgaben sich das heutige Studium der Geisteswissenschaften tatsächlich stellen sollte. In meiner Studienzeit hat sich diese Frage so nicht gestellt. Ob sich ein Studium überhaupt einer Aufgabe stellen soll? Ob das sinnvoll ist? Ob das mit der Grundidee von Wissen und Wissenschaft überhaupt vereinbar ist? Der Yaler Literaturwissenschaftler Harold Bloom zitierte in diesem Zusammenhang einen Satz von Oscar Wilde: „All Art is quite useless.“ Und er plädierte dafür, diesen Satz über den Eingang einer jeden Universität schreiben zu lassen. Es ging ihm nicht nur um die Kunst, sondern auch um die Wissenschaft und die Bildung. In letzter Instanz sollte all das im besten Sinne des Wortes nutzlos sein. Das heißt: eben nicht dem Diktat ökonomischer oder gesellschaftlicher Werwertbarkeit untergeordnet. Heute sind das wahrscheinlich sakrilegische, wenn nicht häretische Formulierungen.

 

Welche Tendenzen erkennen sie in der studentischen Mentalität?

 

Ich kann nur für die neunziger Jahre sprechen, als ich noch an der Uni tätig war: eine zunehmende Ängstlichkeit, Angepasstheit und Utopielosigkeit. Wir behandelten in einem Proseminar beispielsweise Oscar Wildes utopischen Essay „The Soul of Man under Socialism.“ Das interessierte so gut wie niemanden. Der Text schien den Studenten bar jeder Relevanz und Bedeutung. Der Blick galt zunehmend dem Unmittelbaren, dem Machbaren, dem Beruflichen. Ein Gedicht bringt die Atmosphäre dieser Zeit auf den Punkt: „Die Utopien haben den Glauben an die Menschheit verloren.“

 

Welchen Rat geben Sie Studenten, deren Professoren und Lehrbeauftragte sich nicht mal mehr bemühen sich ihren Nachnamen zu merken?

 

Das ist schwer zu beantworten. Vielleicht sollte der Student mit allem Nachdruck auf seinem Namen insistieren: „Ich heiße übrigens …“ Oder den direkten Kontakt mit dem Professor suchen und ihn daran erinnern, dass hier ein Mensch ist, der vor ihm sitzt, ein Mensch, der sogar einen Namen hat.

 

Warum (Himmel noch mal!) gibt es nur noch wenige Dozenten, die sich an ihre Zeit als junge Wissenshungrige erinnern und entsprechend vermitteln?

 

Das Werden des durchschnittlichen Professors ist ein Verausgabungs- und Auszehrungsprozess. Die Promotion ist schon hart genug, doch die Habilitation ist noch einmal eine unglaubliche Steigerung an Fleiß, an Akribie, an Anpassung und Hilflosigkeit, an existentiellen Ängsten, unter denen die Habilitanden leiden. Und nach der Habilitation dann das Bangen, überhaupt eine Stelle an der Uni zu finden, was selten genug ist. Wenn man dann mit Anfang vierzig doch noch irgendwann Professor wird, ist kaum mehr etwas von diesem Menschen übrig, schon gar nichts von irgendeinem Wissenshunger. Es herrscht meist Müdigkeit, Erleichterung und grenzenlose Erschöpfung. Der Vorgang hat Methode. Es ist ein jahrzehntelanger Anpassungs- und Austreibungsprozess – vergleichbar mit militärischen oder kirchlichen Karrieren. Kaum ein General würde plötzlich zu einem Pazifisten oder ein Papst zu einem Befreiungstheologen werden. Nicht nach diesen jahrzehntelangen Reinigungs- und Austreibungsprozessen.

 

Wie war die Stimmung während Ihrer Zeit (1982-89) in Tübingen?

 

Meine frühe Studienzeit war noch von den allerletzten Nachwehen der 68-Zeit geprägt. Einmal kam ein Veteran der Studentenbewegung in unser Proseminar, um mit uns zu diskutieren. Er schaute uns an und sagte, er habe noch nie ein so angepasstes Seminar erlebt. Vielleicht hatte er Recht, doch er hatte keine Ahnung, was nach uns noch kommen sollte. Heute sehe ich meine Studienzeit als Übergangszeit, weg von den aufklärerisch-utopischen Gesten der sechziger und siebziger Jahre hin zu einem Gefühl, das Peter Sloterdijk sehr treffend in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ beschrieben hat. Ein hoch reflexiver Zynismus, der alles Aufklärerische skeptisch zurückwies und auf eine spielerisch-provozierende Art und Weise mit Gesten der Gegenaufklärung kokettierte. „Aufgeklärte Verhinderung von Aufklärung“ (Sloterdijk) war ein Motto dieses Lebensgefühls. Wir hatten damals keine Ahnung, dass 20 Jahre später all das einmal bitterer Ernst werden würde – ohne doppelten Boden, ohne jede Reflexivität, ohne ein Zurück.

Man stellte sich damals selten die Frage, zu welchem Beruf ein Studium eigentlich führen würde. Der Gedanke an die berufliche Verwertbarkeit eines Studienganges stellte sich damals noch nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Der Gedanke an einen Beruf – das war weit weg, etwa so weit weg wie der Gedanke an den Tod. Ob man acht oder zwölf Semester studierte, spielte bei weitem nicht die Rolle wie heute. Studiengebühren waren damals völlig undenkbar. Man ließ sich überreden, eine Hauptrolle in einem Shakespearestück in unserem Studententheater zu spielen (natürlich auf Englisch), und wenn schon in einem Shakespearestück, dann gleich auch noch in einem Pinter- und Beckettstück. Why not. Zeit spielte kaum eine Rolle. Das damalige Motto könnte man mit dem vietnamesischen Sprichwort zusammenfassen: „Umwege erhöhen die Ortskenntnis.“ Im Nachhinein betrachtet hat diese Zeit fast etwas Utopisches, längst nicht mehr Mögliches.

 

 

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